teammedia-Verlag, Leseproben

88 zentrales Thema. Am Obermarkt sollen anno 1813 napoleonische Söldner aufmarschiert sein, bevor sich am 20. Mai im benachbarten Bautzen die Preussen und Franzosen die Köpfe blutig schlu- gen. Die sich anbahnenden Koalitionskriege – Be- freiung vom machtbesessenen Napoleon – versetzt die Bevölkerung der Lausitz und Brandenburgs in Angst und Schrecken. Was der Durchmarsch einer Armee für die ansässigen Bauern für Folgen hat, schildert der Schweizer Söldner Ulrich Bräker in seinem Buch „Der arme Mann im Tockenburg.“ „Auf den Märschen stopfte jeder in seinen Haber- sack, was er erhaschen konnte: Mähl, Rüben, Erd- birn, Hühner, Enten u.d.gl . Was das vor ein Mor- diogeschrey gab, wenn’s durch ein Dorf gieng, von Weibern, Kindern, Gänsen, Spanferkeln u.s.f. Da musste alles mit was sich tragen liess. Husch! den Hals umgedreht und eingepackt. Da brach man in alle Ställ und Gärten ein, prügelte auf alle Bäume los, und riss die Aeste mit den Früchten ab.“ Ich erinnere mich noch gut, wie unser Geschichts- lehrer die damalige Kampftaktik der Infanterie anschaulich zu erklären versuchte. „Frontal ste- hen sich die Füsiliere in 100 Meter Entfernung gegenüber. Auf Kommando der Offiziere feuern die Soldaten der ersten Reihe auf ihre Gegner. Alsdann kniet die erste Reihe nieder, und ermög- licht der zweiten Reihe die Schussabgabe. Nach dem Schuss kniet die zweite Reihe nieder, die drit- te kommt zum Einsatz. Unterdessen hat die erste Reihe ihre Vorderladergewehre mit den Ladestock neu geladen, zielt und das gegenseitige Abknallen aus nächster Distanz fängt von vorne an.“ „Lini- entaktik“, haben die Kriegsstrategen diese brutale Massenvernichtung genannt. In Bautzen kommt Napoleons Überlegenheit ins Wanken. Trotz- dem gilt bei Geschichtsforschern diese Schlacht als „Stellungsgewinn für Napoleon.“ Nach rund zwanzig weiteren Gefechten beginnt am 16. Okto- ber bei Leipzig die entscheidende Schlacht – ein Gemetzel von apokalyptischem Ausmass. Dazu der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR): „Auf der Seite Napoleons kämpfen Franzosen, Deutsche, Polen, Italiener, Niederländer, Schweizer und Kroaten. Im Heer der Verbündeten stehen Deut- sche, Österreicher, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Slowenen, Grossrussen, Weissrussen, Ukrainer, Letten, Baschkiren, Kalmücken, Kirgisen, Tataren, Schweden und Engländer.“ Am zweiten Tag zeich- net sich die Niederlage Napoleons ab. „120'000 Soldaten kann Napoleon“ – laut MDR – „aus Leipzig wegführen. Sie ziehen in Gewaltmärschen über Weissenfels, Erfurt, Eisenach und Frankfurt nach Mainz, wo Anfang des Monats November noch 60'000 den Rhein überschreiten. Der Fran- zosen-Kaiser verliert bei Leipzig fast 40'000 Mann. Rund 30'000 seiner Soldaten gehen in Gefangen- schaft. Der Blutzoll der Alliierten ist mit 50'000 bis 70'000 Toten und Verwundeten noch gewalti- ger. Von den etwa 40'000 Blessierten, die am 19. Oktober in Leipzig und Umgebung auf dem Felde liegen, sterben innerhalb der nächsten Tage wei- tere Zehntausende. Die Opfer müssen so schnell wie möglich unter die Erde, genauso wie Tausende Pferdekadaver.“ Das endgültige Aus der Befreiungskriege bringt am 18. Juni 1815 die Schlacht bei Waterloo in Belgien. Des Korsen Eroberungspläne in Mittel- europa sind gescheitert. Wellington und Blücher die Sieger. Napoleon Bonaparte tritt ab von der Machtbühne. Es ist das Ende der napoleonischen Herrschaft. Die Insel St. Helena im Südatlantik wartet bereits auf den prominenten Gefangenen. Zurück zur Rosenstrasse. Niemand in Görlitz Als Söldner 1756 in der Schlacht bei Lobositz desertiert Ulrich Bräker. Er schreibt liest und heiratet Salome. Sein erstes Buch: „Der arme Mann im Tockenburg.“ Darin gibt Bräker den armen Leuten eine Stimme. Mit 64 Jahren stirbt er: Ausgenützt, verschuldet, verarmt. Napoleon Bonaparte.

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